Modellierte Malerei

Helga von Hofes Skulpturen sind zu verstehen als konsequente Weiterentwicklung  eines Anspruchs, den die Künstlerin ursprünglich an die Malerei gestellt hat. Auf der Suche nach einer eigenen Sprache orientiert sie sich in einer ex-pressiven Frühphase an der Malerei des Informel. Gefühl, Emotion, Spontaneität, freimalerische Gestik und ein absolutes Vertrauen in die autonome Poesie der Farbe sind deren wichtigste Merkmale.
Um der Beliebigkeit des expressiven Pinselgestus und der Gefahr, stets mehr vom Gleichen zu produzieren, zu entkommen, geht sie jedoch sehr bald zu klareren Formen und Farben über. Sie reduziert die Farbströme und gestischen Lineaturen immer stärker in Richtung Monochromie - eine Reduktion, die durch ein gesetztes Weniger auf ein Mehr zielt und zugleich den Weg von der Betonung der Fläche zur Eroberung des Raums weist. Die Künstlerin behält die Farbe, weitet ihre Bildräume in die dritte Dimension und findet so den Durchgang zu einem neuen Kosmos.
Es sind merkwürdige, andeutungsreiche, schrundige Skulpturen, die aus der Spannung von Innen und Außen leben. Unübersehbar an diesen mit ruppigen Handgriffen modellierten Formen ist, dass etwas in ihnen nach außen drängt und ihre Gestalt keine endgültige ist. Man kann sich vor ihnen vieles vorstellen. Geologische Formationen und menschliche Architekturen vermischen sich, einiges mag abstrakte Komponenten haben, doch letztlich kommt doch alles aus der Anschauung.
Manche wirken wie Krusten- oder Schalentiere, die die Evolution abgestreift hat, andere erinnern an vulkanische Brocken, häufig variiert sie das Thema Bekleidung: knallorange Zwangsjacken, stilisierte Röcke, Rucksäcke mit Sta-cheln oder weiche feminine Formen in Vlies, die wie amöbenhafte Wesen auf dem Boden liegen und mit Tentakeln ausgestattet in einem blinden Begehren im Raum herumzutasten scheinen.
Wie abgezogene Körperhüllen biegen sie sich, liegen verkrümmt auf dem Bo-den, seltsam fremd, oft wie erstarrte Lebewesen, abwesend oder ferngerückt. Man spürt ihre von innen heraus arbeitende Kraft, als wäre ihre Form nur ein vorübergehendes, eingefrorenes Moment einer unmerklichen Verwandlung. Es könnten Gebilde des Übergangs aus einer Traumwelt in die reale Welt sein oder auch umgekehrt. Kafkas Verwandlungsängste lassen grüßen. Die Zerrissenheit, Fragilität und Ungewissheit des Daseins gewinnt in diesen Objekten spannungsvoll Gestalt: Fremd zieht man ein, fremd zieht man wieder aus.
Die Figur ist für Helga von Hofe das Element, sich mit dem Raum in Beziehung zu setzen und ein Bekenntnis zur Welt. Ihre Intention ist es, Skulpturen zu gestalten, die sich nicht nur mit Formfragen auseinandersetzen, sondern auch Themen wie Leiblichkeit, Leidenschaft und Schmerz zu behandeln. Nicht zufällig sind die an Kleidungsstücke gemahnenden Formen aus einer Performance entwickelt worden, bei der sie in einem riesigen Packpapier den Tanz einer bewegten Skulptur aufführte. Helga von Hofes Objekte sind Paraphrasen des Körpers, des Körpers im Raum und des Raumes zwischen den Körpern, den sie öffnet und verknüpft.
Unübersehbar ist, dass Helga von Hofe auch als Bildhauerin Malerin bleibt. In der Schaffung dreidimensionaler Körper ist ihre Arbeitsweise die einer Bild-hauerin, doch die Oberflächen sind modelliert wie die Materialbilder der Infor-mel-Künstler. Um einen Drahtkern wird wie bei Reliefbildern Zellulose oder Fi-berglas gegossen und anschließend geknittert, geglättet und bemalt. In der Entgrenzung zwischen Bild und Skulptur manifestiert sich deren gemeinsame Basis und es wird eine direkte Parallele zwischen der Tiefe der Farbe und der Haptik der Skulptur hergestellt. Die Farbhäute lassen die Skulpturen wie mo-dellierte Malerei wirken und verleihen ihnen eine malerische Qualität, die Ausdruck und Spannung dieser Gebilde nicht bestimmt, aber effektiviert. Unübersehbar ist auch hier der Eindruck des Nicht-ganz-Fertigen, das Offenlassen für andere Zustände, die Unmöglichkeit, eine endgültige Form zu finden.
Das Ergebnis sind Skulpturen, die wie Seismogramme Bewegungen in großer Tiefe sichtbar machen, Ahnungen von der untergründigen Wirkungsmacht in allem Lebendigen. Helga von Hofes Kunst ist ein Bindeglied zwischen innen und außen.

Heinrich Schwazer
 

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